... in Südamerika

Portugiesisch und Spanisch waren ebenso Teil der Reise wie ein mehrwöchiger Freiwilligendienst in einem Nationalpark in Argentinien. Einen Rückflug gab es diesmal nicht. Ich musste weg, dieses Verlangen spürte ich täglich mehr in mir, also gehorchte ich, denn es gab keine Zeit mehr zu verlieren. Also ging alles sehr schnell. Morgen schon in Recife, und bald in Rio. Ich war auf mich alleine gestellt, das war mir sofort klar, eine wirkliche Verständigung gab es nicht, die Sprache genauso unbekannt wie das Land selbst.
Ich war gezwungen, mich hier zurechtzufinden, weil ich es so wollte. Aber die Sprache musste ich trotzdem lernen, zumindest ein paar Grundkenntnisse, daran führte diesmal kein Weg vorbei. Zweifel oder ein Zurück kamen für mich nie in Frage, genauso wenig, wie der MS nachzugeben, die mich täglich aufs Neue herausforderte. Immer wieder allein unterwegs, diesmal so lange wie nie zuvor, zog ich davon...

 


(C) Marco Dorer

 Die ungewohnte, enorme Hitze in Brasilien forderte zunächst ihren Tribut von mir. Ich wusste, dass es dort heiß werden würde, und ich musste mich so schnell wie möglich daran gewöhnen, denn Temperaturen von fast 40 Grad waren in Südamerika eher die Regel als die Ausnahme.
Auch in Argentinien und in den anderen Ländern herrschte eine ungewohnte, extreme Hitze, wobei ich irgendwann nicht mehr darüber nachdachte, über das, was sowieso gegeben war. Diese Tatsache bedeutete für meine Krankheit, sie war da, aber auch nicht mehr da. Ich genoss es einfach nur, hier zu sein, egal wo, es war gut so, und überall empfingen mich die einzigartige Schönheit der Natur und die Offenheit der Menschen vor Ort. Kein Wort über MS und meine Behinderung, kein Resignieren vor scheinbar unüberwindbaren Hindernissen unterwegs, alle halfen mir, auch diese Situationen zu meistern. Kein Platz, um über MS und meine ständigen Symptome, egal ob Gleichgewichtsstörungen (Ataxie), Augenzittern (Nystagmus) oder andere Behinderungen, ausführlicher zu sprechen.
Es bleibt mir gar nicht, mehr darüber zu sagen, sie waren da, vielfache Einschränkungen, die mich viel Kraft kosteten, egal wo ich war, körperlich und mental musste ich mich durchbeißen, jeden verstörten Augenblick, sobald ich einen Fuß vor den anderen setzen würde, sie gehörten dazu, aber sie bestimmten nicht meinen Weg. Es geht immer weiter.
Ich kam über Brasilien bis fast an den Südpol in Argentinien, schlug mich danach bis nach Chile durch, bis in den Norden entlang der Atacama-Salzwüste zurück nach Argentinien und weiter nach Bolivien. Danach folgten Peru und das steinerne Denkmal von Machu Picchu, bis im Norden nach einer gewohnt langen Busfahrt Ecuador auf mich wartete. Hier, an der weiten Pazifikküste, musste ich mich erst mal erholen. Zum einen von den extremen Busfahrten, die nach endlosen Stunden und mehreren tausend Kilometern auf verschlissenen Wegen bis hierher ihre Spuren hinterlassen hatten. Zum anderen von den unzähligen Strapazen und Herausforderungen, die unterwegs zu Fuß schon hinter mir lagen. Ich war körperlich am Ende, und je ausgedehnter ich mich am Strand oder in einer der vielen umherbaumelnden Hängematten niederließ, desto mehr schwand mein einstiger Antrieb, mich wieder und wieder auf den Weg zu machen. Zum ersten Mal zur Ruhe gekommen, verspürte ich eine gewisse Form von Sesshaftigkeit, also blieb ich hier, vorerst, und dachte nach... 
Es war der Beginn eines weitreichenden Entschlusses: Ich änderte mein bisheriges Leben daheim, folgte dem Ruf der vielen Menschen, die ich unterwegs in Südamerika getroffen hatte, und begann zu schreiben …

 

 

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